Von Prothesen bis Produktreinigung: „Daten statt raten“ weitet den Horizont

Nach der dritten Auflage des Symposiums steht als nächstes ein CASE4Med-Netzwerkabend an

Tuttlingen – Was ist real, was ist eine Simulation? Veranstaltet von der MedicalMountains GmbH, fand in Tuttlingen das dritte Symposium „Daten statt raten“ statt, dieses Mal im Rahmen des Projekts CASE4Med. Ziel der Initiative, die vom Landesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst gefördert wird, sind Wege, die die Vorteile von Simulationen in der Produktentwicklung aufzeigen. Darum wird es auch beim nächsten Netzwerkabend Anfang Juli gehen.

Yvonne Glienke (MedicalMountains GmbH) und Andreas Wierse (SICOS BW) begrüßten die Teilnehmenden, von denen einige bereits zum wiederholten Mal an der Tagung teilnahmen. Bereits vorab konnte Andreas Wierse ein erstes Fazit ziehen: Simulation gewinnt stetig an Bedeutung. Auch und gerade in der filigranen Medizintechnik, die häufig komplexer ist als etwa die Automobilbranche.

Mehr Kapazitäten bedeuten mehr Energie

Produkte, ihre Anwendung und Handhabe, die Folgen ihres Einsatzes zu simulieren und gleichzeitig finanzielle und zeitliche Ressourcen zu schonen – dazu braucht es Daten. Viele Daten. Das geht nur mit der entsprechende Rechnerkapazität im Hintergrund, führte Ralf Schneider vom Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) aus, auf dessen Service auch private Firmen zurückgreifen können und das zunehmend KI in sein Portfolio einbindet. Das HLRS baut seine Kapazitäten qualitativ und quantitativ kontinuierlich aus – was allerdings auch viel Energie kostet.

Das gut frequentierte Tuttlinger Symposium hatte zwar die Medizintechnik im Fokus, setzte aber bewusst auch auf Beiträge anderer, wenngleich naher Branchen. So unternahm Christophe Ley von der Universität Luxemburg eine „Reise ins Herz der Datenanalyse“ und stellte Modelle vor, mit denen sich heute Verletzungen von Leistungssportlern prognostizieren lassen. Auch hier gilt die Devise: Je mehr Daten, desto besser die Vorhersage; es gilt also, möglichst viele Faktoren wie Ernährung, das Training, die aktuelle Fitness oder die persönliche Konstitution einfließen zu lassen und von einer KI auswerten zu lassen. Wobei Ley deutlich machte, dass in solchen Fällen die Künstliche Intelligenz „mehr sein muss als ChatGPT“. Der Statistiker wies aber auch darauf hin, dass schon ein laufend überwachter Athlet an einem einzelnen Trainingstag so viele Daten erzeugt, dass sie die Rechner überlasten können.

Produktreinigung kann simuliert werden

Michael Ehlen von der Firma AVL Deutschland ging auf das sensible Thema Produktreinigung ein, deren Prozesse ebenfalls mittlerweile simuliert werden können. Ehlen führte das Thema ganz handfest am Beispiel einer simplen Geschirrspülmaschine aus, die letztlich das gleiche bewirken soll wie die Hochleistungsapparate in der Industrie. Kunststoff-Spritzguss spielt in der Medizintechnik eine wichtige Rolle; Christian Pohlschmidt von der Firma KH Medical im nordbayerischen Helmbrechts stellte Simulationen in seinem Unternehmen vor. Dabei spielen zahlreiche Faktoren wie Kühlzeiten, Fließverhalten, Druck und Spannung der verschiedenen Materialien wichtige Rollen; am Ende geht es um höhere Effizienz und bessere Qualität: weniger Werkzeug-Bau, geringere Verzögerungen, Vermeidung von Fehlern wie Lufteinschlüssen im Werkstück.

Mehrere Best-Practice-Beispiele aus der Medizintechnik zeigten im Symposium den Stand der aktuellen Forschung auf. Ronja Schierjott-Hermle (Aesculap) stellte statistische Formmodelle in der Entwicklung von Knie-Totalendoprothesen vor, damit diese möglichst individuell auf den Patienten abgestimmt sind. Frank Reinauer von KLS Martin ging auf den Themenkomplex Effizienzsteigerung und Kostenreduktion an Beispielen aus der Kieferchirurgie ein; auch da mit dem gleichzeitigen Ziel einer verbesserten Patientensicherheit.

Simulation braucht auch die passenden Köpfe

Mit einer Podiumsdiskussion endete die Veranstaltung. Hier wies Christian Pohlschmidt wohl stellvertretend für alle Teilnehmenden darauf hin, dass „Simulation allein nicht funktioniert“ – es brauche dazu „Leute mit Erfahrung und Know-how“. Ebenso einig war sich die Runde, dass Simulationsanwendung möglichst früh einsetzen muss, um effektiv zu sein. Und alle betonen die Rolle von Rechner-Kapazität und -Zeit: Grundlage jedweder Simulation sind schließlich Daten, die verwaltet werden wollen. Ungelöst ist derzeit noch der Konflikt zwischen den Anforderungen der Wissenschaft und Technik einerseits und dem Datenschutz andererseits, wenn es um die Einbeziehung von Patientenakten geht – in der Diskussion deuteten sich genug Themen an, die für eine vierte Auflage im kommenden Jahr sprechen.

  • Am 3. Juli 2025 lädt die GmbH MedicalMountains erneut im Rahmen von CASE4Med alle Interessierten zu einem Netzwerkabend ins IFC in Tuttlingen ein. Den Auftakt macht Prof. Dr. Michael Resch vom Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart mit einem Impulsvortrag zum Thema: „KI, Supercomputer und Medizin – geht das?“. Im Anschluss sind alle Gäste auf die Dachterrasse für einen gemütlichen Sommerabend eingeladen. Weitere Informationen und Anmeldemöglichkeit unter diesen Link.