Simulation offenbart ihr Potenzial

Von Entwicklung bis klinische Studien: Symposium gibt spannende Einblicke

Tuttlingen – Die Praxisbeispiele gaben einen Vorgeschmack, was Simulation und Data Analytics für die Medizintechnik noch leisten können: Das Symposium “Daten statt raten” vermittelte den mehr als 80 Teilnehmenden einen Tag lang etliche Einblicke und Ansätze, mit der digitalen Vorausschau reale Mehrwerte unter anderem bei Entwicklung und individualisierten Therapien zu erzielen.

An diesem Vergleich kam man nicht vorbei: In der Automobil-Industrie gehört die virtuelle Entwicklungsarbeit längst zum Pflichtprogramm. „Durch Simulation können technische Ziele und Produkteigenschaften schneller und effizienter erreicht werden“, formulierte Christoph Gümbel (future matters AG) eine Erkenntnis aus dem Fahrzeugbau. Andreas Wierse, Geschäftsführer der Sicos BW GmbH, steuerte eine zweite bei: „Auch die Großen machen nicht alles selbst, sondern haben Partner.“ Diesen Zugang gelte es nun auch für die Medizintechnik zu öffnen, beispielhaft durch „Case4Med“, dem Solution Center für Hightech in der Medizintechnik. Prof. Dr. Martin Haimerl (Hochschule Furtwangen) gab hier Einblicke in mögliche Anwendungsfelder; angefangen bei Biegetests bis hin zur Reinigungssimulation, um auf jeweils ganz eigene Weise Medizinprodukte zu optimieren, bevor sie in die Fertigung kommen.

Dass die Technologie bereits in der Branche angekommen ist, darüber informierten mehrere Praxisbeispiele. Frank Reinauer von der KLS Martin Group berichtete, wie Simulation etwa bei der Gaumennaht-Erweiterung hilft, patientenspezifische Schnittschablonen für Chirurgen und die optimale Positionierung des Distraktors zu ermitteln, um am Ende die gewünschte ästhetische Symmetrie mit möglichst kleinen Traumata zu erzielen. „Autos sehen immer gleich aus, Menschen nicht“, verdeutlichte er den Hauptunterschied zwischen den Branchen – und das große Potential der Simulation, individuellste Gegebenheiten in die Berechnung einfließen lassen zu können. Ähnlich verfährt die Aesculap AG bei der Knie-Endoprothetik. Über viele Jahre hinweg wurden Implantate stets in gerader Achse angesetzt und damit Gegebenheiten wie X- oder O-Beine außer Acht gelassen. Dank biomechanischer Simulation sind angepasste Lösungen möglich – mit einem deutlichen Zugewinn an Zufriedenheit bei den Patienten, wie Prof. Dr. Thomas Grupp berichtete.

Den Bogen vom Individuum zur Kohorte spannte Dr. med. Urs Schneider (Fraunhofer IPA): „In-silico clinical trials“ haben das Potential, beispielsweise die Funktionsprüfung von Implantaten an einer virtuellen Personengruppe zu testen. Um die Modelle möglichst realitätsnah zu gestalten, braucht es zunächst eines: viele Daten aus der „echten“ Welt, an dem das System wachsen kann. Entsprechend hatten Data Analytics und künstliche Intelligenz ebenfalls ihren Platz bei dem Symposium. „Ohne Daten ist KI-Entwicklung wie Trockenschwimmen“, brachte es Dr. Stefan Taing (M3i GmbH) auf den Punkt. Dass die Entwicklung über den OP-Saal hinausgeht, machte nicht zuletzt auch das Beispiel von „Smart Vigilance“ deutlich: Hier hilft KI, die Herausforderung der klinischen Nachbeobachtung von Medizinprodukten zu vereinfachen.

Die Idee zu dem Symposium war aus dem Visionsprozess für die Medizintechnik im Südwesten Deutschlands entstanden, um die Datengenerierung und -nutzung in der Branche zu forcieren. Yvonne Glienke, Geschäftsführerin der MedicalMountains GmbH, hatte die Veranstaltung moderiert und war am Ende sehr angetan von den Inhalten: „Simulation und Data Analytics geben der Medizintechnik großartige Werkzeuge an die Hand, um einerseits Ressourcen zu sparen und andererseits mit neuen Ideen schneller an den Markt zu kommen.“ Man stehe im Grunde noch am Anfang dessen, was die Technologien zu leisten vermögen. „Kooperation ist der Schlüssel. Mit unserem Netzwerk öffnen wir Türen, sodass Hersteller mit den richtigen Partnern gemeinsam zum Ziel kommen“, so Yvonne Glienke. Ein Appell von Dr. med. Urs Schneider sei besonders eindrücklich gewesen: Die Unternehmen sollten nicht warten, bis die Technologie ausgereift sei. „Das wird sie nie sein. Man muss heute damit beginnen und die ersten Schritte wagen.“